Das Leipziger Bach-Konzert von 1840
„Am Donnerstag habe ich hier in der Thomaskirche ein Orgelkonzert gegeben, von dessen Ertrag der alte Sebastian Bach einen Denkstein hier vor der Thomasschule bekommen soll. Ich gab’s solissimo und spielte neun Stücke und zum Schluss eine freie Fantasie. Das war das ganze Programm. Obwohl ich ziemlich bedeutende Kosten hatte, sind mir doch über 300 Thaler rein übrig geblieben...“
Dies schrieb Felix Mendelssohn Bartholdy vier Tage nach seinem Leipziger Orgelkonzert vom 6. August 1840 in einem Brief an seine Mutter. Die Absicht, ein weiteres Orgelkonzert zu geben, verwirklichte er nicht. Das restliche Geld für den Denkstein brachte Mendelssohn durch zwei andere Konzerte auf, die erste Leipziger Aufführung der Matthäus-Passion seit Bach in der Thomaskirche am Palmsonntag 1841 und das Konzert am 23. April 1843, dem Tag der Enthüllung des Denksteins, im Saal des Gewandhauses.
Die Orgel der Thomaskirche, auf der Mendelssohn sein Konzert spielte, existiert heute nicht mehr. Sie wurde im Jahre 1889 abgerissen. Nähere Beachtung verdient Mendelssohns Programm. Anders als in heutiger Konzertpraxis brachte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts überall dort, wo Musik dargeboten wurde, Zeitgenössisches zu Gehör.
Unter den Zuhörern des Mendelssohnschen Orgelkonzertes war Robert Schumann. Dieser schätzte die Zahl der Besucher auf 400 bis 500 und schrieb danach in der Neuen Zeitschrift für Musik:
„…Wie Mendelssohn das königliche Instrument Bachs zu handhaben versteht, ist schon anderweitig bekannt; und dann waren es lauter köstliche Kleinodien, die er gestern vorlegte, und zwar in herrlichster Abwechslung und Steigerung, die er nur zu Anfang gleichsam bevorwortete, und zum Ende mit einer Phantasie beschloss.
Nach einer kurzen Einleitung spielte er eine Fuge in Es-Dur, eine gar prächtige auf drei sich über einander aufbauende Gedanken, hierauf eine Phantasie über den Choral “Schmücke dich o liebe Seele“, ein unschätzbares, seelentiefstes Musikstück, wie es irgend einem Künstlergemüth entsprungen, sodann ein groß-brillantes Präludium mit Fuge in A-Moll, beide sehr schwierig auch für Meister auf der Orgel.
Nach einer Pause folgte die Passacaille in C-Moll, 21 Variationen, genialisch genug ineinander gewunden, dass man nur immer erstaunen muss, auch von Mendelssohn vortrefflich in den Registern behandelt, nach diesen eine Pastorella in F-Dur, wie nur irgend ein Musikstück dieses Charakters in tiefster Tiefe gedacht werden kann, der sich dann eine Toccata in D-Moll mit Bach’isch-humoristischem Präludium anschloss. Den Schluss machte eine Phantasie Mendelssohns, worin er sich denn zeigte in voller Künstlerglorie; sie war auf einen Choral,‘irr‘ ich nicht, auf den Text “O Haupt voll Blut und Wunden“ basiert, in den er später den Namen Bach und einen Fugensatz einflocht, und rundete sich zu einem so klaren, meisterhaften Ganzen, dass es gedruckt ein fertiges Kunstwerk gäbe. Ein schöner Sommerabend glänzte zu den Kirchenfenstern herein; außen im Freien wird noch mancher den wunderbaren Klängen nachgesonnen haben, und wie es doch in der Musik nicht größeres gibt, als jenen Genuss der Doppelmeisterschaft, wenn der Meister den Meister ausspricht. Ruhm und Ehre dem alten wie dem jungen!“